Geschichte

Kunstverein Bielefeld – Zeitgenössische Kunst in Bielefeld seit 1929

Von einer Bürgerinitiative im Jahr 1929 als Freundeskreis des Bielefelder Kunsthauses gegründet ist der Kunstverein Bielefeld seit nun 90 Jahren Jahren wesentlicher Bestandteil des städtischen Kulturlebens. Seit 1984 hat er seinen Sitz in einem Adelshof der Weserrenaissance aus dem 16. Jahrhundert, einem der ältesten Gebäude der Stadt. Mit seinen knapp 1000 Mitgliedern zählt der Kunstverein Bielefeld zu den bedeutendsten und größeren Kunstvereinen in Deutschland. Er versteht sich als ein eigenständiges, öffentliches Forum, das zum Dialog mit zeitgenössischer Kunst einlädt. Ausstellungen, Veranstaltungen und das Kunstvermittlungsprogramm befragen die Bedeutung von Themen und künstlerischen Positionen der Gegenwart.

Geschichte der Kunstvereine

Die ersten Kunstvereine wurden bereits im frühen 19. Jahrhundert, zwischen 1815 und 1840, vom aufstrebenden Bürgertum gegründet. Im Zuge des politischen Vormärz und der Aufklärung entwickelten sie sich in Reaktion auf das kulturelle Monopol des Adels. Noch vor den Museen, Kunsthallen, Kunsträumen und kommerziellen Galerien boten die Kunstvereine den Künstlern in vielen Städten die erste öffentliche Plattform zur Präsentation zeitgenössischer Kunst. Von Beginn an förderten sie die aktuelle Kunst und machten ihre Ausstellungen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Mit ihrer über 200-jährigen Geschichte und einem Netzwerk von über 300 Institutionen in Deutschland haben die Kunstvereine entscheidend zur Demokratisierung von Kunst beigetragen und ein international einzigartiges Modell zur Unterstützung junger Gegenwartskunst geschaffen. Bis heute verstehen sich Kunstvereine als bürgerliche Institutionen mit öffentlichem Kulturauftrag. Als gemeinnützige Vereine definieren sie ihr Profil außerhalb musealer oder kunstmarktorientierter Zwänge.

Beginn des Kunstlebens in Bielefeld

Mit Blick auf die heutige Größe und Bedeutung der Stadt beginnt die Entwicklung eines bürgerlichen Kunstlebens vergleichsweise spät. Den Anfang markiert die erste Kunstausstellung in Bielefeld, welche eine Kunstvereinsgründung notwendig machte. Kunstinteressierte Bürger der Stadt gründeten 1881 den ersten Kunstverein für Bielefeld und Umgegend mit dem Ziel eine Wanderausstellung des Westfälischen Kunstvereins in Münster in den Saal der Ressource und somit in den exklusiven Kreis Bielefelder Leinenkaufleute, zu holen. Am Anfang jährlich, später alle zwei Jahre fanden Ausstellungen mit Künstlern der Düsseldorfer und Münchner Akademien statt. Parallel zu den Aktivitäten des Kunstvereins eröffnete der aus Kassel zugezogene Buchhändler Otto Fischer 1902 einen Kunstsalon, der fortan nicht nur das zukünftige Kunstleben der Stadt, das Ausstellungsprogramm des Kunstverein und schließlich auch die privaten wie öffentlichen Kunstsammlungen in der Stadt über Jahrzehnte prägen sollte.(1) Fischer, seit 1902 auch Vorstandsmitglied des Kunstvereins für Bielefeld und Umgegend, zeigte in Bielefeld zu Beginn noch in Hotels erstmalig Werke von Max Klinger, Käthe Kollwitz, Max Liebermann, Otto Modersohn oder Edvard Munch. Aufgrund seiner neuen Kunstauffassung, aber auch kommerziellen Interessen, macht er dem eher konservativen Programm seines eigenen Vereins viel Konkurrenz. Zudem verlegte er mit Unterstützung des Kunsthistoriker Dr. Franz Bock zwischen 1908–1911 das Bielefelder Kunstblatt, organisierte Vorträge oder kooperierte mit den Kunstvereinen in Herford und Münster. Die Anziehungskraft und der Einfluss seiner Buch- und Kunsthandlung in der Obernstraße 47 (ab 1906) war so groß, dass der Kunstverein zunehmend an Bedeutung in der Stadt Bielefeld verlor und sich 1909 auflöste.
Nach Ende des ersten Weltkriegs und Auflösung des Kunstverein für Bielefeld und Umgegend (bereits 1909) gewann der Lehrer Dr. Heinrich Becker, ebenfalls ein Unterstützer von Otto Fischer, für das Kunstleben der Stadt zunehmend an Bedeutung. Becker, der auch in der Ravensberger Kunstgemeinde (1920–1922) aktiv war, wurde 1921 von der Stadt mit Kunstausstellungen des Städtischen Museums in der Koblenzer Straße betraut.(2) Im Jahr 1927 wurde schließlich das Städtische Kunsthaus in Bielefeld in der Hindenburgstraße unter der ehrenamtlichen Leitung von Dr. Heinrich Becker eröffnet.

90 Jahre Kunstverein Bielefeld

Da die „zugebilligten Haushaltsmittel“(3) für Ausstellungen schon bei Gründung des Städtischen Kunsthauses nicht ausreichten, wurde auf Wunsch des städtischen Finanzausschusses und zur Unterstützung von einer Bürgerinitiative mit dem Freundeskreis des Bielefelder Kunsthauses ein neuer Kunstverein in Bielefeld gegründet. Zum damaligen Gründungsvorstand gehörten Gerhard von Möller (Vorsitzender) Dr. Dr. Theodor Buddeberg (Stellvertreter), Dr. Heinrich Becker (Schriftführer), Otto Lorentz, und Walther Delius (Schatzmeister). Anlass zur Gründungsversammlung am 19. März 1929 gaben vorhergegangene Aktivitäten zur Unterstützung einer Ausstellung des damals 61-jährigen Emil Nolde im Städtischen Kunsthaus und ein begleitender Vortrag mit Führung des Hamburger Kunsthistorikers und Direktors des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg Prof. Max Sauerlandt am 8. März 1929. Im Protokoll der Gründungsversammlung ist vermerkt: „Diese Unternehmung gelang so vortrefflich, dass in zwanglosem Zusammensein vieler Zuhörer in der Ressource, die Begründung des Freundeskreis der Bielefelder Kunsthauses in aller Form beschlossen wurde ...“.(4) Im Sinne eines Förderkreises hatte der Kunstverein anfangs vier Ziele:

a) Kunstvorträge und andere künstlerische Veranstaltungen.
b) Besichtigung von Ausstellungen und Kunststätten.
c) Ankauf von Kunstwerken, zwecks Bildung einer eigenen Kunstsammlung, die in das Eigentum der Vereinigung gehen und später als Leihgaben dem Städtischen Kunsthaus überwiesen werden können.
d) Beschaffung geeigneter Kunstwerke, die unter den Mitgliedern verlost und verteilt werden.

In diesem Sinne versuchte die Ausstellung aus Bielefelder Privatbesitz (Städtisches Kunsthaus, 1930) zu zeigen, „wie die Bielefelder Kunstfreunde an dem Kunstschaffen der letzten 30 Jahre durch persönlichen Einsatz Anteil genommen haben“(5). Es folgten weitere Ausstellungen und Ankäufe durch Dr. Heinrich Becker für das Städtische Kunsthaus und den Bielefelder Kunstverein. Im Zuge der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde Becker „aufgrund seines Einsatzes für die moderne Kunst“(6) bereits 1933 als Leiter des Kunsthauses wieder entlassen. Im November 1933 wurde gezwungenermaßen der Freundeskreis als Bielefelder Kunstverein e.V. neu gegründet und sollte nun „deutsche Kunst“ fördern. Die neue Zielsetzung hatte Veränderungen im Vorstand zur Folge. 1935 zog sich der Kunstverein aus dem Ausstellungswesen des Kunsthauses weitestgehend zurück und verlegte sein Engagement auf Reisen und kunsthistorische Vorträge.(7) Alle Aktivitäten mussten mit der von der NSDAP eingesetzten neuen Leitung, dem Berliner Bildhauer Prof. Georg Hengstenberg, abgestimmt werden, sie kamen jedoch nicht ganz zum Erliegen.(8) Bereits kurz nach dem zweiten Weltkrieg nahm der Kunstverein unter Vorsitz von Karl Hasenclever (1946–1952) seine Ausstellungstätigkeit wieder auf. Auf Anregung von Dr. Heinrich Becker, in Personalunion seit 1944 wieder Leiter des Städtischen Kunsthauses und bis 1971 Schriftführer im Kunstverein, wurden ab dem 9. Juni 1946 Arbeiten der Westfälischen Sezession in der Rudolf-Oetker-Halle gezeigt und vom Bielefelder Kunstverein organisiert. Kunst des XX. Jahrhunderts aus dem Besitz des Kunstvereins und seiner Mitglieder (1954, Städtisches Kunsthaus) markierte zum 25. Jubiläum des Kunstvereins die Entwicklung und Geschichte des Bielefelder Kunsthauses. Sie entwarf ein „zusammengefaßtes Bild, mit welchem Anteil diese künstlerischen Darbietungen in Bielefeld angenommen wurden“(9). Mit der Neubesetzung von Dr. Gustav Vriesens als hauptamtlicher Museumsleiter im Jahr 1954 verlor der Kunstverein allerdings auch seinen direkten Einfluss auf das Ausstellungsprogramm des Kunsthauses. Schwerpunkt wurden unter neuem Vorsitz von Walther Delius (1952–1960) wieder Kunstreisen, sehr erfolgreich organisiert von dem Ehepaar Hans und Gertrud Hainer, und kunsthistorische Vorträge, die bereits seit 1948 von Dr. Hanna Böllhoff konzipiert wurden. Bernd und Christa Kurzberg (in den 1990er Jahren), später Dr. Frank Duwe, führten dieses Engagement ehrenamtlich fort.

In der Amtszeit des Vorsitzenden Karl Otto Lorentz (1961–1981) widmete sich der Kunstverein nach seinem Schwerpunkt auf der klassischen Moderne wieder verstärkt der künstlerischen Gegenwart und erstmalig der Skulptur im öffentlichen Raum. Ebenso unterstützte der Bielefelder Kunstverein in dieser Zeit die Diskussion und das Bestreben um den Bau einer Kunsthalle. Der Gründungsdirektor der Kunsthalle Joachim Wolfgang von Moltke erinnert sich in seiner Aufzeichnungen im Jahr 1985 zur Entstehung der Kunsthalle Bielefeld: „Ich hatte das Glück, in Bielefeld eine psychologisch ungemein günstige Situation vorzufinden. Zum einen gab es eine große Anzahl kunstinteressierter Menschen, die u.a. im Bielefelder Kunstverein an der gemeinsamen Sache arbeiteten und die mir mit Herrn Karl-Otto Lorentz als damaligen Vorsitzenden des Kunstvereins und Frau Dr. Hanna Böllhoff-Becker, die ich noch aus meiner Studienzeit kannte, viele Unterstützungen zukommen ließen“.(10) Im Rahmen einer Werbeaktion für die Bielefelder Kunsthalle wurden erstmals Jahresgaben aufgelegt und zur Eröffnung 1968 stiftete der Kunstverein das Bild Kinderbewahrungsanstalt (1924) von Conrad Felixmüller. Der Kunstverein erlebte im Zuge der Neugründung einen unglaublichen Boom und die Mitgliederzahlen stiegen von 450 auf 1300. Auch deshalb erhielt der Kunstverein zur Koordination seiner Aktivitäten ab 1969 ein eigenes Sekretariat in der neuen Kunsthalle und organisierte dort 1979 aus Anlass seines 50-jährigen Bestehens eine große Ausstellung mit Werken Aus Bielefelder Privatbesitz. Malerei und Graphik 1900–1945 (1979, Kunsthalle Bielefeld). Sie sollte mit einer „Auswahl an Malerei und Graphik gewichtet auf die Schaffensjahre, die seiner Gründungszeit naheliegen, und auf die Künstler, denen die Vorliebe der Sammler galt […], von der Begeisterung bis zur Vernarrtheit“(11) eine Brücke zu den Anfängen des Kunstvereins schlagen. Bis Anfang der 1980er Jahre war es dem Kunstverein wegen fehlender eigener Räume nicht möglich, regelmäßig eigene Ausstellungen durchzuführen. Neben Kunstreisen, Vorträgen und Veranstaltungen mit anderen Vereinen der Stadt wurden mit den Mitteln des Kunstvereins Jahresgaben aufgelegt, die heute noch bestehende und nach wie vor geförderte Artothek in der Stadtbibliothek eingerichtet, Schulen mit Farbdias für den Kunstunterricht unterstützt, eine Kunstbibliothek aufgebaut und Kunstwerke angekauft. Letztere wurden der Kunsthalle geschenkt oder als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt.(12)

Zeitgenössische Kunst in alter Bausubstanz

Als 1982 das Kulturhistorische Museum der Stadt Bielefeld im Waldhof schließen musste, konnte der Kunstverein nach einer Ausstellung mit Otto Pankok (1983) am 1. Januar 1984 die Stadt für eine Trägerschaft des ehemaligen Museums durch den Bielefelder Kunstverein gewinnen.(13) Nach dem altersbedingten Abschied von Karl Otto Lorentz, war es somit unter dem neuen Vorsitzenden Dr. Florian Böllhoff (1981–1997) erstmals möglich, mit einem eigenen Haus und ohne Anbindung an eine städtische Institution selbstständig zu agieren. Die erste Ausstellung richtete 1984 der Düsseldorfer Zero-Künstler Günther Uecker aus.(14) Der Kunstverein konnte 1991 einen Kooperationsvertrag mit der Stadt schließen und die Arbeit professionalisierte sich zunehmend.(15) Bereits seit 1987 war Dr. Andreas Beaugrand ehrenamtlicher und ab 1991 erster hauptamtlicher Geschäftsführer. Das Programm bestimmte eine Ausstellungskommission, bestehend aus Vorstand- und Beiratsmitgliedern. In den gut 15 Jahren bis zur Jahrtausendwende wurden regional wie überregional wegweisende Einzelausstellungen mit u.a. Constant, Emil Schumacher, HAP Grieshaber, Jean Cocteau, Christa Näher, Max Uhlig, Gerhard Koberling oder Asger Jorn gezeigt. Neben der Förderung regionaler Künstlerinnen und Künstler waren die Auseinandersetzung mit der Art Brut, der Austausch zwischen BRD und DDR(16), die Bielefelder Industriearchitektur, die Bielefelder Schule der Fotografie(17), der Jugendstil und Historismus oder Kooperationen mit dem Bielefelder Colloquium Neue Poesie(18) wesentliche thematische Schwerpunkte. In diese Zeit fällt auch die vom Kunstverein mitinitiierte Gründung des Förderkreis der Kunsthalle Bielefeld im Jahre 1982. Unter dem Vorsitz von Hansjörg Pfitzner (1997–2004), der Bauleitung von Architekt Andreas Wannenmacher und mit Unterstützung zahlreicher privater Förderer konnte schließlich 1997 das Gebäude des Waldhofs renoviert und umgebaut werden.

Kunstverein Bielefeld im 21. Jahrhundert

Neben der zeitgenössischen Kunst begann sich der Kunstverein im Jahr 2000, damals als erste Kulturinstitution in der Region und bis heute als eines der wenigen Ausstellungshäuser in Deutschland, auch der Vermittlung zeitgenössischer Architektur zu widmen. Die Reihe Baukunst wurde von Andreas Wannenmacher konzipiert(19) und seitdem in Kooperation mit dem BDA – Bund Deutscher Architekten realisiert. So zeigte der Kunstverein in dieser Reihe bisher Ausstellungen mit den Architekten Claudio Silvestrin, RCR Aranda Pigem Vilalta Arquitectes, Ofis Arhitekti/bevk perovic arhitekti, ZAO/standardarchitecture oder Peter Haimerl. Zudem wurden aktuelle wie gesellschaftsrelevante Themen in der Architektur(20) präsentiert.

Nach über 15 Jahren endete im Jahr 2002 die Tätigkeit von Dr. Andreas Beaugrand im Bielefelder Kunstverein. Andreas Wannenmacher, bereits im Vorstand tätig, übernahm 2004 den Vorsitz des Bielefelder Kunstvereins. Gleichzeitig wurde ein neuer Vorstand und Beirat gewählt. Bereits 2003 konnte die Kunsthistorikerin Dr. Stefanie Heraeus als neue künstlerische Leiterin gewonnen werden, die erstmalig eigenständig über die Ausstellungen bestimmte. Sie erweiterte das Programm auf aktuelle, internationale Positionen in den Medien Malerei, Skulptur, Fotografie und Zeichnung. Große Aufmerksamkeit erfuhr gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit die Ausstellung David, Matthes und ich (2005), die mit David Schnell, Matthias Weischer und Tilo Baumgärtel junge Maler der Neuen Leipziger Schule vorstellt. Übersichtsausstellungen zu den Kunstszenen in Polen(21) und New York(22), aktueller Zeichnung(23) und analoger Fotografie(24) folgten. Wegweisende Einzelausstellungen erhielten unter anderem Sunah Choi, Jörg Herold, Michael Kalmbach, Brandon Lattu oder Elisabeth Masé. Die Traditionen aktueller Kunst vermittelten Ausstellungen mit den Sammlungen der Galeristinnen Stella Lohaus und Anny De Decker(25), der Sammlung Marzona oder die Gruppenausstellung Neuer Konstruktivismus.

Nachdem Heraeus im Jahr 2008 Bielefeld verließ, wurde Thomas Thiel nach einer öffentlichen Ausschreibung die künstlerische Leitung und Geschäftsführung übertragen. In den letzten 10 Jahren hat sich sein Programm zum Ziel gesetzt, Gegenwartskunst und ihre Geschichte, mit ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und ihrer gesamten inhaltlichen wie medialen Bandbreite zu zeigen. Die Förderung zeitgenössischer Kunst im regionalen und internationalen Zusammenhang rücken im Rahmen von Ausstellungen, Veranstaltungen und zahlreiche Kooperationen mit anderen Bielefelder Kulturinitiativen in den Fokus. Die Ausstellungen Das Bielefelder Gefühl (2009), Carl Strüwe im Kontext zeitgenössischer Fotografie (2012), Bielefeld Contemporary (2014) oder Reinhart Koselleck und das Bild (2018) richteten einen aktuellen künstlerischen und kulturhistorischen Blick auf Bielefeld. Spartenübergreifende Themenausstellungen wie Schaubilder (2012), Museum Off Museum (2013), Vor Ort. Kunstprojekt Sennestadt (2014), Eugen Gomringer & (2015), Transparenzen. Zur Ambivalenz einer neuen Sichtbarkeit (2015/2016), Asylum (2016) oder FaceTunes (2017) beschäftigten sich neben gesellschaftsrelevanten Fragestellungen mit den Bedingungen des Ausstellens unter globalen und medialen Vorzeichen. Ebenso wurden verstärkt Sichtweisen angrenzender Disziplinen wie der Literatur, Musik, Mode und Gestaltung(26) präsentiert. Mit der Reihe Subjektive Projektionen (2009–2013) konnte der Kunstverein erstmalig auch im Internet als Ausstellungsort der zeitgenössischen Kunst wahrgenommen werden. Ebenso hatten im Bielefelder Kunstverein international gefragte Künstlerinnen und Künstler wie Mathieu Kleyebe Abonnenc, Dineo Seshee Bopape, Cécile B. Evans, Latifa Echakch, Christian Falsnaes, Luke Fowler, Shilpa Gupta, Iman Issa, Gabriel Kuri, Maria Loboda, Lili Reynaud-Dewar, Cally Spooner, Jessica Warboys oder Katarina Zdjelar erste institutionelle Einzelausstellungen in Deutschland. Über das klassische Angebot an Reisen, Vorträgen, Führungen und Kinderworkshops hinaus, wurden mit Unterstützung von Cynthia Krell neue Formate der Kunstvermittlung entwickelt, in Zusammenarbeit mit schulischen Partnern und ehrenamtlichen Mitwirkenden umgesetzt. Aufgrund dieses Programms wurde der Verein bereits 2009 mit dem JUMP – Jahresförderpreis für Kunstvereine der Kunststiftung NRW ausgezeichnet, mehrfach für den ADKV-ART COLOGNE Preis für Kunstvereine nominiert und im Jahr 2014 mit diesem Preis ausgezeichnet.

Ab April 2019 übernimmt nun Nadine Droste als neue Direktorin die Geschäfte des Kunstverein Bielefeld. Sie überzeugte die Auswahlkommission mit einem Konzept, das die kritische Kraft der Kunst ins Zentrum stellt, sich zu aktuellen Diskursen positioniert und den Kunstverein als Raum ästhetischer Experimente aktualisiert. Drostes Programmplanung möchte dazu einladen, neue Perspektiven der jungen und internationalen zeitgenössischen Kunst zu erfahren, gegenwärtige Gesellschaftsbilder zu diskutieren und in Kooperation mit regionalen und internationalen Institutionen weiterhin die spannenden Tendenzen der aktuellen künstlerischen Produktion zu erleben.

Die Geschichte des Kunstverein Bielefeld ist eine Erfolgsstory von Bürger*innen für Bürger*innen. Unverändert wird der Kunstverein wesentlich von seinen Mitgliedern getragen. Sinkende Mitgliederzahlen konnten entgegen dem allgemeinen Trend aufgehalten und der Altersdurchschnitt des Publikums verjüngt werden. Viele Personen im Vorstand und Beirat, die hier nicht alle genannt werden können, ermöglichten über Jahrzehnte mit ihrem ehrenamtlichen Engagement die Entwicklung des Kunstvereins. Neben den regelmäßigen Mitgliedsbeiträgen und Spenden haben Stadt und Land, öffentliche und private Stiftungen und zahlreiche Bielefelder Unternehmen den Kunstverein in der Vergangenheit und bis heute bei seiner Arbeit finanziell unterstützt. Einige konnten ab 2005 als Corporate Partner(27) für eine mehrjährige Förderung gewonnen werden. Gleichzeitig wurde mit dem Aufbau der Tafelrunde(28) ein Kreis zusätzlich fördernder Mitglieder innerhalb des Kunstvereins begonnen. Tradition haben auch Kooperationen und der Austausch mit anderen Kultur- und Bildungsinstitutionen der Region wie Artists Unlimited, Bunker Ulmenwall, Fachhochschule Bielefeld, Filmhaus Bielefeld, Literarische Gesellschaft Ostwestfalen-Lippe, Marta Herford, Theaterwerkstatt Bethel, Theater Bielefeld, Künstlerinnenforum Bielefeld-OWL, Künstlerhaus Lydda, Kunsthalle Bielefeld, Universität Bielefeld, ZiF – Zentrum für interdisziplinäre Forschung und anderen. Die Artothek des Kunstvereins wurde mit einer Neupräsentation 2012 attraktiv in die neue Stadtbibliothek integriert. Bereits seit den 1980er Jahren veranstaltet das Bielefelder Kulturamt die gemeinsame Konzertreihe Jazz im Skulpturengarten im Hof des Kunstvereins.

Die Grundziele eines Kunstvereins im 19. Jahrhundert hat der ehemalige Direktor der Bremer Kunsthalle und gebürtige Bielefelder Prof. Dr. Wulf Herzogenrath folgendermaßen zusammengefasst: Bürgerliche Selbstdarstellung, Bildungsvermittler zwischen Bürgern und Künstlern, Ort der Information über die zeitgenössische Kunst.(29) Viele neue Angebote sind seitdem hinzugekommen, doch die Bedeutung bürgerschaftlichen Engagements, einer fordernden Vermittlung und kultureller Bildung ist geblieben. Der Kunstverein Bielefeld „hat sich seit seiner Gründung zur Aufgabe gemacht, die bildenden Künste zu pflegen und zu fördern, den Kunstsinn der Mitbürger anzuregen...“(30). Als Motor kultureller Entwicklung leistete der Verein, auch in Kooperation mit anderen lokalen Kulturinitiativen, wesentliche Beiträge zum Kulturleben in Stadt und Region. So ging die Rettung der Ravensberger Spinnerei in den 1970er Jahren wesentlich auch vom Kunstverein aus. Es ist gelungen, dem Kunstverein nicht nur überregional und international eine sehr große Anerkennung(31) zu verschaffen, sondern als eigenständige Institution auch lokal fest zu verankern. Der Bielefelder Kunstverein im 21. Jahrhundert ist ein öffentliches Forum der künstlerischen Produktion und Innovation, welches neue Positionen und Kommunikationsformen der Gegenwartskunst zur Diskussion stellt. Das Programm des Kunstvereins setzt sich zum Ziel, die Kunst von heute in ihren Bezügen zur Welt von heute‚ zugänglich zu machen. Damit Bielefeld auch in Zukunft ein progressiver Ort für zeitgenössische Kunst bleibt, gilt in Anlehnung an ein Werbeplakat des Kunstvereins aus dem Jahre 1968 weiterhin die Aufforderung: Auch Sie sollten teilnehmen!

Thomas Thiel, erschienen in: Bielefelder Kunstverein (Hg.), 90 Jahre Bielefelder Kunstverein 1929–2019, Bielefeld 2019.


(1) Dies belegen auch die späteren Ausstellungen des Kunstvereins Ausstellung aus Bielefelder Privatbesitz (1930, Städtisches Kunsthaus), Kunst des XX. Jahrhunderts aus dem Besitz des Kunstvereins und seiner Mitglieder (1954, Städtisches Kunsthaus), Aus Bielefelder Privatbesitz. Malerei und Graphik 1900–1945 (1979, Kunsthalle Bielefeld).
(2) Dort organisierte er Ausstellungen mit Lovis Corinth, Lyonel Feininger, Käthe Kollwitz, dem Bielefelder Künstler Peter August Böckstiegel und anderen.
(3) Karl Otto Lorentz: 50 Jahre Bielefelder Kunstverein, in Ausstellungskatalog: Bielefelder Kunstverein (Hg.): Aus Bielefelder Privatbesitz. Malerei und Graphik 1900–1945, Bielefeld 1979, S. 4.
(4) Vgl. Protokoll der Gründungsversammlung vom 19.03.1929.
(5) Heinrich Becker: Ausstellung aus Bielefelder Privatbesitz – vom 21. September bis 19. Oktober 1930 im Städtischen Kunsthause Hindenburgstraße, Ausstellungskatalog, Bielefeld 1930, S. 12.
(6) Erich Franz: Zum Wirken Dr. Heinrich Beckers in Bielefeld, in Ausstellungskatalog: Bielefelder Kunstverein, Kunsthalle Bielefeld (Hg.), Dr. Heinrich Becker zum 100. Geburtstag, Bielefeld 1981, Seite 7.
(7) Die Rolle des Bielefelder Kunstverein zwischen 1933–1945 wurde ausführlicher recherchiert und beschrieben: Andreas Beaugrand / Christian Stiesch: Die Kunst ist lange bildend, ehe sie schön ist, in: Andreas Beaugrand (Hg.), Stadtbuch Bielefeld. Tradition und Fortschritt in der ostwestfälischen Metropole, Bielefeld 1996, S. 195–196.
(8) Vgl. Karl Otto Lorentz: 50 Jahre Bielefelder Kunstverein, in Ausstellungskatalog: Bielefelder Kunstverein (Hg.): Aus Bielefelder Privatbesitz. Malerei und Graphik 1900–1945, Bielefeld 1979, S. 5.
(9) Heinrich Becker, Bielefelder Kunstverein (Hg.): Kunst des XX. Jahrhunderts, Städtisches Kunsthaus Bielefeld, 21. März – 25. April 1954, Ausstellungskatalog, Bielefeld 1954, S. 5.
(10) Joachim Wolfgang von Moltke, Die Entstehung der Kunsthalle Bielefeld, in: Florian Böllhoff, Die Entstehung der Kunsthalle Bielefeld. Persönliche Erinnerungen von Joachim Wolfgang von Moltke, Bielefeld 1993.
(11) Karl Otto Lorentz: 50 Jahre Bielefelder Kunstverein, in Ausstellungskatalog: Bielefelder Kunstverein (Hg.): Aus Bielefelder Privatbesitz. Malerei und Graphik 1900–1945, Bielefeld 1979, S. 3.
(12) Karl Otto Lorentz: 50 Jahre Bielefelder Kunstverein, in Ausstellungskatalog: Bielefelder Kunstverein (Hg.): Aus Bielefelder Privatbesitz. Malerei und Graphik 1900-1945, Bielefeld 1979, S. 4.
(13) Bis heute wird deshalb der Kunstverein und sein Standort von vielen Bielefeldern als Museum Waldhof bezeichnet.
(14) Mit Unterstützung der Geschäftsführerin Renate Kohlrausch und Beratung der Vorstandsmitglieder von Gisela Burkamp (Leiterin des Kunstvereins Oerlinghausen), Hans Hainer und Hermann Diestelhorst folgten weitere Übersichts- und Einzelausstellungen.
(15) Die Ausstellungskommission bestand neben dem Vorstand u.a. aus Gisela Burkamp, dem Kunstverlagsinhaber Karl Kerber, Hilde Klimpke und Kunsthallenleiter Dr. Ulrich Weisner.
(16) mit Ausstellungen von A.R. Penck, Max Uhlig, Walter Libuda.
(17) mit Ausstellungen von Gottfried Jäger, Karl Martin Holzhäuser und Jörg Boström.
(18) mit Ausstellungen von Carlfriedrich Claus, Josef Bauer, Ilse Garnier oder Heinz Gappmayer.
(19) ab 2009 gemeinsam mit Thomas Thiel.
(20) Ungewohnt Gewohnt – Außergewöhnliche Beispiele privater Wohnhäuser (2003), Orte der Transzendenz (2004), Weinbaukunst (2006), Dem Alltag entfliehen – Außergewöhnliche Beispiele zeitgenössischer Hotelbauarchitektur (2007), Lernräume (2008), Micro House (2009), Neue Bescheidenheit. Architektur in Zeiten der Verknappung (2013), Künstler als Auftraggeber von zeitgenössischer Architektur (2015).
(21) Skulptur, Installation und Malerei aus Polen, 2007, mit Michal Budny, Slawomir Elsner, Jakub Julian Ziólkowski.
(22) Bibbidi Bobbidi Boo!, 2005.
(23) Gegen den Strich. Experimentierfeld Zeichnung, 2008.
(24) Out of the Camera. Analoge Fotografie im digitalen Zeitalter, 2006.
(25) Die Geschichte wiederholt sich nicht! Anny de Decker und Stella Lohaus: Zwei Galeristinnen – zwei Generationen.
(26) Mehr als ein T-Shirt (2009), Beyond Gestaltung (2011), Eugen Gomringer & (2015), WYHIWYG (2017) wären hier zu nennen.
(27) Vorstand und Geschäftsführung gelang es, den Bielefelder Kunstverein im letzten Jahrzehnt auch finanziell besser aufzustellen. So konnten seit 2005 die Bielefelder Unternehmen BVA Bielefelder Verlag, Dr. Wolff Arzneimittel, JAB Josef Anstoetz KG, Loewe Logistics & Care, Mercedes-Benz Ostwestfalen Lippe, Schüco International KG, Sparkasse Bielefeld und Union Knopf als Corporate Partner gewonnen werden.
(28) Eine Initiative der ehemaligen Leiterin Dr. Stefanie Heraeus, die in den letzten 10 Jahren ganz maßgeblich von Laura von Schubert weiter entwickelt wurde.
(29) Vgl. Stephan Berg: Where do we go from here? Kunstvereine im Spannungsfeld zwischen Damals und Heute, in: 201 Positionen zur Kunst. Kunstvereine in Deutschland, ADKV 2001, S. 2­12.
(30) siehe Satzung des Bielefelder Kunstvereins vom 7. November 2000.
(31) Neben dem JUMP-Jahresförderpreis für Kunstvereine der Kunststiftung NRW 2009, den Nominierungen und der Lobenden Erwähnung im Rahmen des ADKV-ART COLOGNE Preis wurde Kunst to go, das Kunstvermittlungsprojekt für Kinder und Jugendliche, mit einem Kulturstern des Jahres im Jahr 2012 ebenfalls ausgezeichnet.

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Plakat zur I. Kunst-Ausstellung in Bielefeld, 1881. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,1 / Westermann-Sammlung, Bd. 21: Vereine.