Analisa Teachworth

ALTERED

11.11.2023 – 28.01.2024

Der Kunstverein Bielefeld eröffnet am 10.11.2023, 19:00, die erste institutionelle Einzelausstellung der US-amerikanischen Künstlerin Analisa Teachworth in Deutschland. Die multidisziplinäre Praxis Teachworths (*1987 in Detroit, lebt und arbeitet in Berlin und New York City) erstreckt sich auf die Felder Malerei, Skulptur, Installation, Sound und digitale Medien. Dabei gehen ihren Arbeiten stets fundierte inhaltliche Recherchen voraus. Zwischen Sanftheit und Raserei vermitteln ihre Kunstwerke mit besonderer Klarheit die ganze Härte der uns umgebenden Realität, und es sind insbesondere ihre Oberflächen, deren taktile Momente von magischer Qualität zeugen. Transition, Kollektivismus und Kommunikation sind wiederkehrende Themen, denen sich die Künstlerin widmet. Auch der Ausstellung Altered im Kunstverein Bielefeld geben sie ihr Fundament.

Die einzelnen Elemente – Ausstellungen, verwendeten Materialien, Werktitel etc. – im kreativen Schaffen Analisa Teachworths sind Teil eines fortlaufenden, aufeinander aufbauenden und bezugnehmenden Prozesses, der als Ganzes gefasst werden kann. Dies manifestiert sich schon im Titel der Ausstellung Altered. Das im Partizip Perfekt stehende englische Wort bedeutet soviel wie verändert, geändert, modifiziert oder umgestaltet. Es setzt ein davor voraus, um danach zu sein. Es erzählt von etwas, dass schon geschehen ist und mit dem nun umgegangen werden muss. Auch der Titel an sich nimmt Bezug auf einen vorherigen – Alter. So erschafft Teachworth in ihrer künstlerischen Praxis ein sich selbst erhaltendes und veränderndes Prisma, das sich insbesondere mit der Untersuchung der Gesellschaft als Konstrukt aus Erinnerung, Handlung und zugrunde liegendem Zusammenhalt beschäftigt.

Ihre Glasinstallationen – Skulpturen und Wandarbeiten und insbesondere die Zusammenführung von Glas und Metall – können als Sinnbilder für heterogene Systeme, sichtbare und unsichtbare Barrieren, verstanden werden. Sie spielen mit Aspekten von Transparenz, Fragilität, Selbstverortung und Momenten des Übergangs. Die raumdominierenden Installationen erschaffen in definierten Winkeln Wände aus Glas. Der/die Betrachter*in kann um sie herumschreiten, sich in ihnen spiegeln, sie einzeln als auch als Ganzes wahrnehmen. Durch ihre Bearbeitung mit roher Gewalt, die an sich schon von der Energie und Kraft zeugt, die diesen Arbeiten zugrunde liegt, erschafft die Künstlerin ein Wesen, dass von zerbrechlichen Systemen erzählt. Es spricht von der Zerbrechlichkeit sozialer Strukturen, von der Fragmentierung, die aus individuellen Perspektiven und Interessen der Gesellschaft resultiert und mithin vom sprichwörtlichen Glashaus, in dem man nicht mit Steinen werfen sollte. Auch psychologische Aspekte finden sich in den gläsernen Architekturen. Gesplitterte Lichtmosaike verweisen auf die Spektren von innen und außen. Emotionen, Erfahrungen und Traumata einzelner und vieler spiegeln sich in dem versehrten Glas wider. Die Glasskulpturen thematisieren Schwellenerfahrungen in der Materie, die sowohl positive als auch negative Entsprechungen in einer einzigen Form enthalten.

Während die Künstlerin in ihren Glasarbeiten von hergestellter Materie ausgeht, um Seinszustände zu definieren, baut sie bei ihren Malereien auf natürliche Produkte. Die Fragilität als ontologische Beschaffenheit identifiziert die Künstlerin in ihren Malereien über die Verwendung von Bienenwachs als Gestaltungsgrundlage. Im Kontext der Auseinandersetzung mit Gedanken des Kollektiven und seiner Anfälligkeit gegenüber inneren und äußeren Einwirkungen, widmete sich die Künstlerin in den vergangenen Jahren der Beobachtung und Analyse des Sozialverhaltens von Bienenvölkern. In ihnen sieht die Künstlerin ein „ultimatives Symbol des Kollektivs“. Ihre Malereien, die durch das verwendete Bienenwachs sowohl haptische als auch olfaktorische Momente in sich bergen, räumen diesen Lebewesen besondere Aufmerksamkeit ein. Die abstrakten Arbeiten wirken schwer und leicht zugleich. Die provozierten Sinneserfahrungen erzeugen Gefühlsregungen, halten zur Kontemplation an und verweisen darüber hinaus auf Analogien zum System Bienenstock. Hier ließen sich gesellschaftliche, ökonomische und ökologische Vergleiche heranziehen, genauso wie der Verweis auf die Digitalisierung und Methoden des Bioengineering, welches aus der Beobachtung natürlicher Phänomene und Prozesse schöpft. Weiterhin ist hervorzuheben, dass die Bienenwachsmalereien Teachworths in der kunsthistorischen Tradition der Enkaustik stehen. Eine Antike, und gegenüber äußeren Umwelteinflüssen äußerst widerstandfähige, Maltechnik, bei der mit Pigmenten versetztes Bienenwachs auf Malgründe wie Holz, Stein und Elfenbein eingebrannt wurde.
Schließlich kann die Verwendung des kostbaren Guts Bienenwachs, das Analisa Teachworth mit natürlichen Pigmenten färbt, auch als Appell zu Natur- und Umweltschutz gewertet werden, da sich nicht nur das Aussterben der Apis mellifera – der Westlichen Honigbiene – massiv auf das globale Ökosystem auswirken würde.

Im kommenden Jahr feiert der deutsche Romantiker Casper David Friedrich seinen 250. Geburtstag. Seine Malereien sind Liebeserklärungen an die Natur, die ihn umgab. Während seiner Wanderungen, skizzierte er die Landschaften Ostpommerns, Sachsens, des Elbsandstein- und Riesengebirges; in seinem Atelier kombinierte er sie zu neuen Naturerlebnissen. Stets unter der Prämisse, der Reinheit der Natur etwas Abstraktes hinzuzufügen. Noch heute laden seine Malereien zur Kontemplation ein, vielleicht auch deshalb, weil sich mehr und mehr abzeichnet, dass die globale Klimakrise nicht kommt, sondern schon da ist und wir dringend an Lösungen zum Erhalt vieler und unserer eigenen Spezies arbeiten müssen. Stellen wir Friedrichs Landschaften den menschgemachten Eingriffen in heutige Natur gegenüber, sind die Zeugnisse des Anthropozäns, die aus Überbevölkerung, Urbanisierung und Nahrungsmittelproduktion resultieren, deutlich sichtbar. Mit dieser Wahrnehmung greift Analisa Teachworth das abstrahierende Verständnis von Casper David Friedrichs Landschaftsdarstellungen auf und schafft mit Hilfe künstlicher und natürlicher Materialien ruhige, unbestimmte Orte, Wege und Welten mit der Absicht, abstrakt und klar zugleich zu sein und eine Sprache zu verwenden, die auf standardisiertes Vokabular verzichtet. Gebunden an die Kunstwerke, nutzt die sensible Betrachterin diese Praxis, um Momente des Verweilens, des Bedauerns, der Angst und auch die Erhabenheit zu schaffen, die in den Landschaften von Casper David Friedrich mitschwingt.

KUNSTVEREIN BIELEFELD
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